Beilstein in vergangener Zeit

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Von "Auf der Ley" zur Schloßstrasse

Foto Ley 1

Vom Marktplatz aus zieht sich zwischen Zehnthaus und Jugendherberge ein kleines Gäßchen Richtung Burg hoch, die Schloßstrasse. Auf der rechten Seite - das wahrscheinlich älteste Beilsteiner Haus. Das Gebäude diente wohl den Wachmannschaften der Burg und der Stadtmauer als Kommandantur. Von besonderem Interesse: Die östliche Stadtmauer diente der Kommandantur zum Teil als Giebelwand, was bauhistorisch ein identisches Baujahr als wahrscheinlich gelten lässt. Reste der Stadtmauer ragen auf diesem Foto ( von etwa 1930) noch über das Dach hinaus.


Ley 2

Große Teile des Gäßchens waren nicht gepflastert, sondern man ging über den blanken Schieferfels. So waren auch die Eingangsstufen für dieses Gebäude in den gewachsenen Fels hineingeschlagen und durch den Jahrhunderte währenden Gebrauch abgerundet und ausgetreten.


Ley 3

Die Häuser auf der linken Seite waren zumeist eingeschossig und traufseitig zur Schloßstrasse hin mit einem Satteldach versehen. Auf der gegenüberliegenden Seite, also zum Bachtal abfallend ( zur Bachstrasse hin) hatten die Gebäude hingegen bis zu vier Geschosse. Dieses Foto ( um 1950 aufgenommen) zeigt die verwendeten Baumaterialien: Schieferbruchstein und Schiefereindeckung. Ein Material, welches die Beilsteiner in den ortseigenen Steinbrüchen abbauen konnten.Auch das Holz für den Dachstuhl und die Dachgauben schlug man in den naheliegenden Wäldern der Hunsrückhöhen. Die Gebäude dürften mit der östlichen Stadterweiterung Beilsteins über die Stadtmauer hinaus in das beginnende 18. Jahrhundert zu datieren sein. Einige Bauten in dieser Häuserreihe zwischen Schloßstrasse und der darunter verlaufenden Bachstrasse sind auf tonnengewölbte Bruchsteinkeller aufgesetzt worden, die noch weit älteren Datums sind und den Burgherren ab dem 14. Jahrhundert als Wein- und Vorratskeller dienten. Das führt in heutiger Zeit mitunter zu der leicht verrückten Situation, dass einige Häuser hier auf verschiedenen Geschossen völlig unterschiedlichen Besitzern gehören.


Ley 4

Wir schlendern einige Meter weiter. Das Sträßchen besitzt noch keine durchgehende Pflasterung. An einigen Stellen lief man über den blanken Schieferfels, an anderen Stellen über losen Schutt. Der Bereich auf diesem Foto (Aufnahme um 1950) ist zum Teil mit Moselkiesel belegt. Ein billiger Baustoff, der in der Mosel preiswert und leicht abzubauen war, aber kaum zu einer stabilen und glatten Strassenoberfläche führte.


Moselkiesel gegenüber Beilstein 2

Der Moselkiesel oder auch Moselgerölle genannt war leicht am Ufer zu finden. Dieses Foto (vor dem Bau der Staustufen 1964 aufgenommen) bildet eine Uferpartie auf der Beilstein gegenüberliegenden Flussseite ab. Man nahm vorzugsweise große flache Steine, je nach Beschaffenheit halbierte man die Steine auch und verlegte sie dann mit der flachen Innenseite nach oben. Vom ausgehenden Mittelalter bis in das beginnende 20. Jahrhundert dürfte diese Pflasterung in Beilstein die gebräuchlichste Strassenbefestigung gewesen sein. An einer einzigen Stelle in Beilstein hat man wohl "vergessen" diese alte Pflasterung mit Moselkiesel zu erneuern: An der Westfassade der alten Pfarrkirche (heute Bürgerhaus) existiert heute noch vor dem zugemauerten ehemaligen Eingangsportal ein schmaler Streifen (ca. 200 X 50 cm) geplastert mit Moselkieselsteinen.


Westportal ehem Pfarrkirche2

Regenwasser und teilweise auch Abwässer wurden auf der Schloßstrasse über die vertiefte Rinne in der Mitte der Gasse auf den Marktplatz abgeführt. Eine Schmutzwasserkanalisation gab es vor 70 Jahren in Beilstein noch nicht. In dieser Hinsicht kam die Zivilisation erst im Jahre 1960 nach Beilstein. Die "Donnerbalken", Gülle- und Misthaufen - vor nahezu jedem Haus damals vorzufinden - gehörten ab da endlich der Vergangenheit an.


Ley 5

Fast sind wir am Ende der Schloßstrasse angekommen. Das Fachwerkhaus auf der linken Seite ist heute mein Ferienhaus "Haus kein Moselblick". Der Bretterverschlag in der Ecke diente der trockenen Lagerung von Brennholz. Im vorderen Bereich besteht der Strassenbelag aus festgetretenem Schutt, im hinteren Bereich lief man auf dem blanken Schieferfelsen.


Ley 6

Wir sind am Ende der Schloßstrasse angekommen. Hier trifft sie im spitzen Winkel auf die Bachstrasse. An dieser Stelle gab es eine Wasserentnahmestelle, wo sich die Beilsteiner mit frischem Quellwasser versorgen konnten. Von hier aus bewegen wir uns nun wieder in die entgegengesetzte Richtung, also zurück zum Marktplatz.


Maritas Haus

Wir gehen einige Schritte weiter und auch in der Zeit einige Jahre voran. Die Bachstrasse ist nun gepflastert, der Bach verläuft unterirdisch in einer Betonröhre. Die links abzweigende Schloßstrasse hat noch kein Strassenpflaster. An dieser Wegegabelung (giebelseitig vor dem Haus, wo sich heute ein Souvenier- und Geschenkeladen befindet) hat es lange Zeit eine von zwei öffentlichen Wasserentnahmestellen für die Beilsteiner gegeben. Die andere Entnahmestelle befand sich auf dem Marktplatz. Das steinerne Basaltbecken findet sich heute noch vor dem Bürgerhaus.


Ley Ende 1920er

Diese Fotografie (Ende der 1920er Jahre aufgenommen) zeigt die damaligen Bewohner vor ihrem Haus. Die Wasserquelle wurde durch einen rundbogigen Mauerabschluss bekrönt und dient hier der Gruppe als Sitzgelegenheit. Zwischen diesem Mauerabschluss und dem dahinterliegenden Gebäude führten Treppenstufen zur Wasserentnahmestelle hinunter. Der Straßenbelag besteht hier im vorderen Bereich aus losem Schutt, wenige Meter weiter aus dem blanken Schieferfels.


Ley 7

Die Beschaffenheit der Schloßstrasse ist auf dieser Abbildung (Aufnahme: Anfang der 1950er Jahre) noch ein wenig deutlicher nachvollziehbar. Die drei Männer laufen über den gewachsenen Schieferfels (auch Ley genannt). Nur in der Mitte liegen drei Reihen Pflastersteine, erklärbar mit der Verlegung der privaten Wasserleitung des Geheimen Oberbaurates Höffgen um das Jahr 1900).Die Schloßstrasse wird von den Beilsteinern seit Jahrhunderten als Ley bezeichnet. Das Wort Ley ist eine alte Bezeichnung für Fels oder Klippe. Es wird zumeist im rheinischen oder niederdeutschen Sprachraum für Fels benutzt. Möglicherweise leitet sich der Begriff vom gallischen (keltischen) Wort lika/ likka mit der Bedeutung Steinplatte ab. Auf der Ley laufen wird heute noch von den Beilsteinern umgangssprachlich benutzt um das Begehen der Schloßstrasse zu bezeichnen. Das Foto erklärt diesen Umstand recht bildhaft.


Untere Schloßstr. Richtung Markt

Wir sind die Schloßstrasse bzw. die Ley nun wieder Richtung Marktplatz zurück gegangen. Zur Linken die Fragmente eines gemauerten Rundbogens, wohl einmal Teil der östlichen Stadtmauer (heute abgerissen und neu bebaut). Dahinter liegend die alte Kommandantur, eine These die Sinn macht: Hat doch an dieser Stelle die östliche Stadtmauer Burg und Städtchen miteinander verbunden. Zwischen der Kommandantur und dem Treppenturm des Zehnthauses befand sich ein weiteres Stadttor, das Südtor.Auf der rechten Seite steht ein Gebäude, von dem heute nur noch die Außenfassade und ein Notdach erhalten ist.(Foto etwa 1890)


Ley beilstein

Besagter Rundbogen ist auf diesem Foto noch besser zu erkennen (Bildmitte unten). Das Foto zeigt uns in der linken Bildhälfte ein bedeutendes Fragment der östlichen Stadtbefestigung, gesehen von der stadtauswärtigen Seite. Die Mauer wurde beim Bau eines neuen Hauses an dieser Stelle in den 1970er Jahren teilweise abgetragen bzw. als Zwischenwand in den Neubau integriert. Seither gibt es von der östlichen Mittelalter-Stadtmauer keine sichtbaren Teile mehr in Beilstein. .


Ley Richtung Marktplatz

Unsere Exkursion über die Schloßstrasse bzw. die Ley ist wieder am Ausgangspunkt dem Marktplatz angelangt. Der Höhenunterschied zwischen Marktplatz und Schloßstrasse wurde in den letzten 150 Jahren auf unterschiedliche Weise bewerkstelligt. Heute sind es rund ein Dutzend Treppenstufen aus Basaltstein mit einem eisernen Treppengeländer, die es den Touristen und Einheimischen leicht machen. Diese Aufnahme (etwa 1865-70) zeigt, dass man über den blanken Schieferfels und gelegten Moselkiesel den Höhenunterschied seinerzeit überwinden mußte.


Ley Marktplatz um 1865

Nach und nach wurden Treppenstufen eingebaut.Das folgende Foto ( aus den 1950er Jahren) zeigt einen Zwischenabschnitt. Es gibt bereits einige stabile Stufen vom Markt, den restlichen Bereich mußte man aber noch über loses Geröll und unregelmäßige Pflasterung mit Moselkiesel überwinden.


Treppenstufen vom Markt gesehen









Haus Höffgen

Das größte und stattlichste Haus Beilsteins: Der mutmaßliche Erbauer Conrad Weber, zunächst Kaufmann und Müller, konnte sich mit dem Bau dieses imposanten, barocken Bürgerhauses im Jahre 1714 durchaus von den übrigen Bewohnern Beilsteins abheben. Auch wenn die Franzosenheere 1689 den Wohnwert der Beilsteiner Burg für die Herrschaft derer von Metternich stark minderten (die Burg wurde geplündert und angezündet und ist seither eine Ruine), so wurden die feudalen Ausbeuterstrukturen für die Winzer und Bauern doch nicht aufgehoben. Die Metternichs zogen sich nach Koblenz zurück und überließen die Verwaltung ihrer Beilsteiner Herrschaft (mit zahlreichen Dörfern und Liegenschaften auf dem Hunsrück) sogenannten Kellerern (das waren eingesetzte Finanzverwalter). Conrad Weber wurde ein solcher Kellerer. Die Ausmaße seines neuen Hauses zeigen wie einträglich seine Aufgabe wohl gewesen sein muß. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts kam das Haus in die Hände des Geheimen Oberbaurates Carl Höffgen (1843-1915), einem Ingenieur, der im hiesigen Raum mit dem Brückenbau beschäftigt war. Er investierte nicht nur in das Innere des Hauses ...


Gartenanlage Höffgen

... sondern schuf sich nördlich der Alten Wehrstraße eine parkähnliche Gartenanlage, die an der Mosel ihresgleichen sucht. Auf diesem Foto von 1908 ist eine antikisierende Säulenreihe im Vordergrund zu erkennen, ferner ein schmiedeeisern umkrenzter Sitzplatz mit Überdachung und ein Springbrunnen, der aus einer Quelle im "Silberberg" permanent mit Wasser gespeist wurde. Der Geheime Oberbaurat erstellte sich auch einen Sommerpavillion mit barockem Glockendach, der zur Moselseite eine Freiterrasse besaß.


Kegelbahn Höffgen

Auf der Rückseite dieses Pavillions wurde zum allseitigen Erstaunen der Beilsteiner kurz nach 1900 eine Freiluftkegelbahn mitten in den besten Weinberg Beilsteins, den Silberberg hinein gebaut. Dieses Projekt dürfte bei den Beilsteinern einiges an gewissem Unverständnis bzw. Kopfschütteln provoziert haben - war der Silberberg bis dato doch die beste und sonnigste Weinlage im Ort. Ausgerechnet hier einen weitläufigen Park und eine Kegelbahn zu errichten, war schon eine leicht verrückte Sache.Die von Carl Höffgen errichte Parkanlage war großzügig im Geschmack und Stil des Deutschen Historismus zum Ende des 19. Jahrhunderts angelegt und diente ihrem Besitzer als Statussymbol im und über das Moseltal hinaus. Auch mit der Anpflanzung seltener Laubbäume in seinem Park schuf er sich eine Besonderheit im hiesigen Raum. Hier gab er sich auch nicht mit winzigen Setzlingen zufrieden, sondern ließ sich junge Bäume in schon beachtlicher Höhe in großen Holzbottichen anliefern, wie das folgende Bild aus den 1880ern beweist.


Höffgens Laubbäume im Holzfass

Rund 60 Jahre später waren aus diesen Jungbäumen riesige Exemplare geworden, wie das Foto aus den 1950er Jahren verdeutlicht. Nach über 130 Jahren ist von den prächtigen Bäumen heute nur noch ein einziger übrig geblieben.

Höffgens Park um 1950




Foto von Carl Höffgen

  Carl Höffgen 1843-1915

Nach dem Tod von Carl Höffgen im Jahre 1915 fiel das Erbe an die Familie seiner Frau (d.h. an Elisabeth Eckertz 1857-1942, hernach Johanna Eckertz 1888-1966). Für die Erben verlor der Park an Bedeutung. In den folgenden Jahrzehnten wurde der einst herrschaftlich angelegte Garten von der Natur buchstäblich "zurückerobert". Noch heute sprudelt aus dem alten Springbrunnen eine schwache Wassersäule, fast so als wären die letzten 100 Jahre nicht gewesen.


Hier finden Sie den Nachruf im "Zentralblatt der Bauverwaltung"  


Kochems Gertrud (Tante Trautchen)
Gertrud Kochems (1894-1971):
2. Person von rechts, Foto etwa 1915

Johanna Eckertz hinterließ mit ihrem Tod 1966 in Beilstein ein kleines Imperium. Neben dem herrschaftlichen Anwesen am Fuße der Klostertreppe, ausgestattet mit zahlreichen kostbaren Möbeln, Bildern, kunstgewerblichen Gegenständen aus dem 19. Jahrhundert, gehörten zum Eckertz´schen Erbe zahlreiche Immobilien im Ort. Etliche Häuser, Weinberge, Grundstücke, Gärten, der Sommerpavillion, die Kegelbahn - all das suchte im Jahre 1966 einen Erben. Mangels geeigneter Verwandtschaft vererbte Johanna Eckertz den gesamten Besitz an das treue Hausmädchen Gertrud Kochems, welches seit 1909 im langjährigen Dienst des Geheimen Oberbaurates Höffgen bzw. seiner späteren Erben, den Fräulein Eckertz I und II gestanden hatte.Mit dieser wohlfeilen und reichhaltigen Erbschaft wurde das nunmehr seit 57 Jahren bestehende Dienstverhältnis belohnt und "Trautchen" Kochems konnte sich der Verwirklichung des uralten amerikanischen Traumes "...vom Tellerwäscher zum Millionär" gewiss sein. Träume werden wahr - man muss nur die Muße haben lange genug darauf warten zu können!


Kochems Gertrud Ehrenurkunde




Ehemaliger christlicher Friedhof

 
Der ehemalige christliche Friedhof an der Nordfassade der Klosterkirche auf dem Rammerberg. Im Vordergrund zu erkennen ein Friedhofskreuz aus dem Jahre 1686 (dem Baubeginn des Klosters), gestaltet in rotem Sandstein und in der Art der barocken Wegekreuze, wie man sie an der Mosel häufig fand. Das Kreuz wurde bei der Renovierung der Außenfassade Ende der 1980er Jahre abgebrochen. Es liegt seitdem in viele Einzelteile zerfallen, zu einem wirren Haufen und von Moos und Efeu überwuchert mitten auf dem alten Kirchhof, ohne daß sich wohl jemand zuständig fühlt, dieses einmalige kunsthistorische Kulturgut wieder aufzubauen. Der Friedhof wurde in den 1960er Jahren - nachdem er den Beilsteinern nahezu 300 Jahre als christliche Begräbnisstätte gedient hatte - aus Platzmangel an den Ortsrand verlegt. Zwei uralte Grabsteine aus den Jahren 1665 und 1819 wurden an den Rand desjenigen Weges versetzt, der vom alten Friedhof auf den Kirchvorplatz führt. Der jüdische Friedhof hingegen, für den jahrhunderte lang recht beträchtlichen jüdischen Anteil an der Beilsteiner Bürgerschaft lag seit altersher - dem jüdischen Ritus entsprechend - außerhalb der Stadt, östlich der Burg gelegen. (Foto vor 1951)

Eine genauere Ansicht des Sandsteinkreuzes hier.
Eine Detailansicht des Sandsteinkreuzes hier.
Eine Detailvergrößerung des Sandsteinkreuzes hier.


Jüdischer Friedhof
Jüdischer Friedhof vorderer und jüngerer Teilbereich um 1930


Detailvergrößerungen der Grabstelen hier.


Jüdischer Friedhof älterer Teil 1930er
Jüdischer Friedhof hinterer und älterer Teilbereich um 1930


Die Beilsteiner Juden legten ihn wohl im 17.Jahrhundert am Fuß der Burg an. Der älteste heute noch lesbare Grabstein ist der des Rafael / Sohn von Moshe, gestorben am 10.11.1818. Das letzte Begräbnis fand 1938 statt. Vergleicht man das Foto aus den 1920er Jahren mit dem heutigen Zustand, fällt dem aufmerksamen Betrachter auf: Die meisten Grabsteine stehen heute an anderer Stelle, einige sind überhaupt nicht wiederzufinden. Inschriften auf Grabsteinen, die oft in kostbarem Granit gehalten wurden, sind teilweise völlig verschwunden!!! 12 Jahre Deutscher Faschismus (1933-45) haben eben auch in Beilstein stattgefunden. Offensichtlich hat man dem jüdischen Friedhof übel mitgespielt. Zahlreiche Beilsteiner jüdischen Glaubens zogen vor dem 1. Weltkrieg in die benachbarten großen Städte. Die letzte in der Nazizeit verbliebene jüdische Familie, die Koppels zogen 1939 von Beilstein nach Köln. Von dort wurden sie im Sommer 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Später wurden sie in einem KZ Nahe Minsk von den Nazis ermordet. Weder an das Ehepaar Koppel samt der Schwester von Karl Koppel Mathilde Koppel, noch an rund ein Dutzend weiterer - ehemals in Beilstein ansässiger - Juden, die von den Nazis ermordet wurden, erinnert heute in Beilstein irgendetwas. ( Foto um 1920 )


Hier finden Sie mehr Informationen über die ermordeten Beilsteiner Juden



Beilsteiner Synagoge

Was den wenigsten Beilstein-Besuchern bewußt ist, das Städtchen besitzt eine ehemalige Synagoge in der Weingasse 13, die im Kern wohl aus dem beginnenden 14. Jahrhundert stammt und auf etwa 600 Jahre jüdisches Leben in Beilstein verweist. Johann von Braunshorn - Herr zu Beilstein - erhielt 1309 vom deutschen Kaiser Heinrich VII das Recht 10 jüdische Familien in sein gerade gegründetes Städtchen Beilstein anzusiedeln. Diese 10 jüdischen Familien flüchteten aus dem Oberweseler Raum, wo sie ihres Lebens nicht mehr sicher waren. (1287 wurde dort der 16 jährige Weinbergsarbeiterjunge Werner ermordet. Den Mord dichtete man den örtlichen Juden als Ritualmord an und es kam in der Folgezeit zu schlimmen Verfolgungen und Pogromen durch haßerfüllte christliche Eiferer. Die Volksfrömmigkeit machte ihn zum Märtyrer und alsbald wurde er als "Heiliger Werner von Oberwesel / Bacharach" verehrt und somit eine antisemitische Legende gesponnen, die leider erst 1963 durch das Streichen des "Werner-Kultes" im Kalender der Diözese Trier ein offizielles Ende fand. Doch noch immer findet sich in vielen deutschen Heiligenverzeichnissen der "heilige Werner von Oberwesel".

Johann von Braunshorn war kein Menschenfreund. Sein Handeln war bestimmt von berechnender Habgier. Die Juden waren zu dieser Zeit quasi Eigentum des Kaisers. (Sie gehörten zur kaiserlichen Kammer = Kammerjuden). Diese Kammerknechtschaft war vom Kaiser übertragbar auf die Landesherren. Man erwarb somit das Privileg die zumeist gebildeten und fleißigen Juden mit allerlei Steuern und Abgaben auszuquetschen. Die Beilsteiner Juden waren am Ausbau der Stadtbefestigung beteiligt (ab 1310) und halfen der jeweiligen Beilsteiner Herrschaft immer mal wieder finanziell aus der Patsche, was ihnen aber nicht immer gedankt wurde. 1347 raffte eine Pestwelle große Teile der europäischen Bevölkerung hinweg. Gerade in Deutschland machte man die Juden hierfür verantwortlich. Viele von ihnen wurden vertrieben, ja erschlagen oder verbrannt. So ist man wohl auch mit den Beilsteiner Juden 1348/49 verfahren. Jedenfalls gibt es für die Zeit bis etwa 1390 keinen Beleg mehr über ihre Besiedlung in Beilstein. Ab dem 15. Jahrhundert gibt es wieder jüdisches Leben im Städtchen. 1780/81 werden acht Familien bezeugt. 1807 zählt Beilstein 47 Juden, knapp zehn Jahre später sind es bereits 73 und somit machen die Juden fast ein Drittel der Bevölkerung aus. (Den höchsten prozentualen Anteil in der Preußischen Rheinprovinz). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ziehen viele Beilsteiner jüdischen Glaubens fort.


Jüdisch-orthodoxer Junge vor Zehnthaus

Das obige Foto habe ich seit langer Zeit in meinem Fotoarchiv. Es bildet den Marktplatz und das Zehnthaus im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ab. Erst als ich die Aufnahme und die abgebildeten Personen stark vergrößerte, entdeckte ich die Besonderheit in der Kleidung des kleinen Jungen, der dort auf dem Karren hockt. Es handelt sich offensichtlich um einen Jungen, der einen Kaftan und einen Strejml oder Kolpik trägt. Ein Kolpik ist eine traditionell von besonders frommen, zumeist osteuropäischen, chassidischen Juden getragene Kopfbedeckung. Sie wird von Jungen bzw. unverheirateten Männer am Shabbat getragen. Eine derartige Kopfbedeckung war zum Ende des 19. Jahrhunderts in den jüdischen Landgemeinden des Moselraumes absolut unüblich. Zwei Erklärungsmöglichkeiten bieten sich hier an. In den Jahren 1863 bis 1867 hat die jüdische Gemeinde zu Beilstein für den Schulbetrieb wohl recht verzweifelt einen jüdischen Lehrer gesucht.

Anzeige 1863
Allgemeine Zeitung des Judenthums 11.8.1863
      
Anzeige 1864
Allgemeine Zeitung des Judenthums 2.8.1864
      
Anzeige 1867
Allgemeine Zeitung des Judenthums 2.7.1867


Die Anzeigen beschreiben das Anforderungsprofil an die gesuchte Lehrkraft und auch die vorgesehene Bezahlung. Für qualifizierte d.h. studierte und theologisch ausgebildete Lehrkräfte war dieses Selär und die Aussicht in einem "gottverlassenen" Moseldörfchen am Ende der Welt zu leben wohl nicht besonders reizvoll. Jedenfalls zeugen die wiederholt geschalteten Anzeigen in der Allgemeinen Zeitung des Judenthums in den Jahren 1863 bis 1867 vom Misslingen dieser Lehrersuche.Jüdische Lehrer aus dem osteuropäisch- galizischen Raum, aus Polen, Ungarn und Rumänien trieb die Armut nach Westen und sie waren bereit für ein geringeres Gehalt eine solche Stelle anzunehmen. (Man sieht: Armutsemigration von Ost nach West, die sich heutzutage in den Moselorten durch die hohe Anzahl von osteuropäischen Servicekräften im Hotel- und Gaststättengewerbe zeigt, hat es auch schon vor 150 Jahren gegeben.) Möglicherweise handelt es sich auf der Fotografie um den Sohn eines jüdischen Lehrers, der sich in Beilstein um diese ausgeschriebene Stelle beworben hat. Eine zweite recht interessante und mögliche Erklärung fand ich in der Beschreibung von Ernst Kahn, einem Bullayer Juden, die er 1995 anläßlich eines Besuches in seiner ehemaligen Heimatgemeinde über seine Kindheit 80 Jahre zuvor dort kundtat: "Für unsere jüdischen Lektionen hatten wir den Lehrer, wie wir ihn nannten, Herrn Kornfeld aus Budapest. Der war noch ärmer als wir, und so fuhr er moselauf und moselab, von einer jüdischen Familie zur nächsten, blieb eine Woche, brachte den Kindern Hebräisch bei und half ihnen bei ihren Bar Mizwa Lektionen. Dann zog er zur nächsten Familie."Auch dieser Bericht könnte erklären, weshalb auf einem rund 150 Jahre alten Beilsteiner Foto ein Knabe mit einer Kolpik Kopfbedeckung erscheint. Jedenfalls handelt es sich bei dieser Aufnahme um das erste fotografische Zeitdokument, welches vom "Jüdischen Beilstein" zeugt. Es wird hoffentlich nicht das letzte Foto sein, welches ich hierzu gefunden habe.(Fotoaufnahme: etwa 1863 bis ca.1890)


Ein zeitgenössisches und stark antisemitisch gehaltenes Gedicht des damaligen Beilsteiner Pfarrers von Freihold zeigt auf, daß Beilsteiner jüdischen Glaubens auch nach fast 600 Jahren in Beilstein immer noch von vielen Zeitgenossen als "schlimmer Fremdkörper" und als zutiefst unerwünscht im Dorf betrachtet wurden. 1895 leben noch 39 Juden, 1925 nur noch 7 Juden hier im Ort. Es war somit kein Minjan mehr vorhanden. ( Mindestanzahl von zehn erwachsenen Männern als Beter um einen jüdischen Gemeindegottesdienst feiern zu können).



Anzeige israelitische Gemeinde


Nach dem 1. Weltkrieg war die Anzahl der jüdischen Beilsteiner durch Sterbefälle und Wegzüge soweit gesunken, dass sich die israelitische Gemeinde gezwungen sah, sich aufzulösen und die wichtigsten Kultusgegenstände aus der Synagoge zu verkaufen. In dieser Anzeige aus dem "Jüdischen Boten vom Rhein - Jüdisches Wochenblatt" vom 16. April 1920 bietet die israelitische Gemeinde zu Beilstein wegen Aufhebung diverse Kultusgegenstände, Bücher, selbst eine Tora Rolle zum Verkauf an. Desweiteren eine Megillo ( das ist eine der fünf jüdischen Megillot Rollen, die zu Feiertagen im Gottesdienst gelesen werden; in dieser Anzeige geht es um das Buch Esther, welches zum Purimfest gelesen wird).
Die zwei angebotenen Schauforim sind Widderhörner, die als Blasinstrument zum jüdischen Neujahrsfest geblasen werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte wohl schon einige Jahre in der Beilsteiner Synagoge kein eigener Gottesdienst mehr stattgefunden und der Vorstand der israelitischen Gemeinde (vertreten durch Karl Koppel, den ich im Folgenden noch näher vorstellen werde) versuchte Gegenstände zu verkaufen, die ohne das Abhalten von regelmäßigen jüdischen Gottesdiensten keinen Sinn mehr machten.
Einige Kultusgegenstände gelangten in den Besitz des Hoteliers und letzten Vorstehers der jüdischen Gemeinde Sigmund Lipmann, andere wurden nach auswärts verkauft. Die uralte Pergamentrolle Megilla Esther fand 1920 wohl keinen Käufer und befindet sich heute in Beilsteiner Privatbesitz. Schließlich machte auch der Unterhalt des Synagogengebäudes (im Privatbesitz von Sigmund Lipmann) keinen weiteren Sinn mehr.

1925 wurde die Synagoge verkauft, später auch das rechts angrenzende Wohnhaus des Rabbiners. Der Käufer zog in Höhe der Frauenempore eine Zwischendecke ein (als Heuboden), unterhalb diente das Gebäude als Lager- und Kelterraum.. Im Gewölbekeller wurde Vieh gehalten. Diese recht unschöne Form der Profanierung schützte das Gebäude jedoch in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 vor einer Zerstörung durch die Nazis.


Längsschnitt


Der dreigeschossige Bruchsteinbau dürfte wohl zu den ältesten Gebäuden Beilsteins zählen. Eine moselseitige Verlängerung des Gebäudes stammt möglicherweise aus dem 18. Jahrhundert. Im Vorraum führen einige Stufen in das Kellergewölbe, indem sich das Becken einer Mikwe befunden haben soll. Eine andere Treppe führt in den zweigeschossigen Beetsaal. Von den beiden gußeisernen Säulen (nördliche heißt Boas, südliche Jachin. Beide Säulen verweisen auf den salomonischen Tempel in Jerusalem, hatten also sakrale und nicht nur statische Funktion), wurde eine entnommen und stützt seit den 1920er Jahren den Anbau der ehemaligen Jugendherberge auf dem Marktplatz.


Gußeiserne Säule - Jugendherberge


Nicht ganz leicht zu erkennen ist die kannelierte Säule auf dieser Aufnahme. Die Terrasse wird im Eckbereich von einem Betonpfeiler abgestützt. Dahinter wurde als zusätzliche Stütze die gußeiserne Säule aus der Synagoge eingebaut. Interessanterweise wurde sie bei der Neuerrichtung des Gebäudes 2014 an der gleichen Stelle als Spolie wiederverwendet. (Auf einem Sockel stehend um 30 cm erhöht).


Traudchen Koppel und andere Kinder

Das "innere Nordtor" habe ich bereits vorgestellt. Was diese Aufnahme von 1928/30 so interessant macht, sind die abgebildeten Personen. Neben dem Winzer Ernst Kochems, der hier seinen Karren mit Runkelrübenblättern für sein Vieh beladen hatte und etlichen Kindern, erkennt man als fünfte Person von links die Tochter des jüdischen Ehepaares Koppel, Gertrude Koppel (geb. 1.2.1916). Sie ist schließlich im Jahre 1937 zu ihrem Onkel Julius Koppel, der schon einige Jahre zuvor von Beilstein in die USA emigrierte gezogen.

Trudel Koppel ca. 1935
Gertrude Koppel unterhalb der Beilsteiner Burg, Aufnahme etwa 1935 kurz vor ihrer Emigration in die USA


Diese Auswanderung dürfte der seinerzeit 21 jährigen Gertrude, wie sicherlich auch ihren Eltern nicht leicht gefallen sein. 1937 war die Hetze, Erniedrigung und Verfolgung der jüdischen Bürger in Deutschland bereits so weit fortgeschritten, dass sich die Flucht nach Amerika als sehr hellsichtig erweisen sollte. Gertrude Koppel entging hierdurch dem Massenmord an den Juden, den der deutsche Faschismus wenige Jahre später planmäßig und industriell durchführte. Sie ist schließlich nach einem langen und erfüllten Leben 2019 im Alter von 103 Jahren in ihrer neuen Heimat Amerika gestorben.


Karl und Theresia Koppel

Ihre Eltern hingegen - Theresia und Karl Koppel konnten sich nicht vorstellen Beilstein und Deutschland zu verlassen. Auch dass man ihnen einmal ihren Lebensmittel- und Kolonialwarenladen auf dem Beilsteiner Marktplatz zwangsweise abnehmen würde (so geschehen nur ein Jahr später im Jahre 1938) lag wohl außerhalb ihrer Vorstellungskraft.


Lebensmittelladen Koppel
Eine Aufnahme dieses Lädchens (linkes Haus im Hintergrund, unteres Fenster und Eingangstüre) fand ich im Rühmann- Film "Wenn wir alle Engel wären", der 1936 in Beilstein gedreht wurde.



Laden Koppel
Koppels Laden aus anderer Richtung gesehen. Der Text auf dem Ladenschild lautet: Kolonialwaren Wurst Rauchwaren Karl Koppel .



Koppels Laden Richtung Torbogen
Diesen Blick hatten Karl Koppel und seine Kunden, traten sie aus der Ladentüre heraus und wendeten sich nach links Richtung Alte Wehrstraße (hinter den beiden Torbögen) Durch die aüßere schräge Kellerluke gelangte man in den Vorratskeller. .



Koppel Familie ca.1920
Theresia Koppel, Sohn Hugo Koppel, Tochter Gertrude Koppel,
Karl Koppel (Aufnahme ca. 1920-22)


Karl Koppel, geb. 4.4.1871 und seine Frau Theresia Koppel, geb.4.1.1881 mussten ihren Kolonialwarenladen nach dem Novemberpogrom vom 9.auf den 10. November 1938 ( von den Nazis beschönigend "Reichskristallnacht" betitelt) aufgeben.
Wenige Monate später, im Frühjahr 1939 zogen sie mit der Schwester Mathilde Koppel, geb. 9.9.1874 nach Köln in die Straße Karthäuserhof 38 III. Ihr Beilsteiner Haus hätten sie bestimmt gerne zu einem guten und reellen Preis verkauft. Spätestens seit dem Pogrom war es Juden in Deutschland allerdings nicht mehr möglich ihre Unternehmen, Häuser und Grundstücke auf dem freien Markt zu veräußern. Diese Verkäufe wurden von staatlicher Seite reglementiert und in der Regel zu Ungunsten der jüdischen Verkäufer organisiert. So mancher "arische Volksgenosse" hat sich in jener Zeit mit "Schnäppchenkäufen" gesund gestoßen.



Verordnung zur Ausschaltung
           
Koppels Laden um 1955.jpg
Anfang der 1950er hatten die neuen Besitzer
fast nichts am Laden verändert. Selbst
Karl Koppels Metalleinfassung für
das Werbeschild wurde übernommen.


Bereits drei Tage !!! nach dem Pogrom wurde am 12. November 1938 die "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" verkündet. Mit dieser Verordnung wurde allen Juden in Deutschland der Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen und das selbständige Führen von Handwerksbetrieben zum 31.12.1938 verboten. Das zwang auch Karl Koppel seinen Laden auf dem Marktplatz aufzugeben. Im nun dokumentierten Brief vom Sommer 1939 erkundigt sich Karl Koppel bei seinen ehemaligen Nachbarn Jobelius nach dem Zustand seines früheren Besitzes, dem Wohnhaus in der Alten Wehrstraße.


Koppel Wohnhaus Alte Wehrstrasse
Wohnhaus der Familie Koppel in der
Alten Wehrstraße, aufgenommen im
Sommer 1938.
(Gebäude am rechten Bildrand)
           
Koppels Terrasse
...und einige Wochen später im Herbst 1938.
Die winzige Terrasse ist mit Küchenkräutern,
Gurken, Tomaten etc. bepflanzt. Ein Teppich
hängt zum Ausklopfen über der Brüstung.


Zu diesem Zeitpunkt trat das Landratsamt Cochem wohl schon juristisch als Zwangsverkäufer des Koppel`schen Besitzes auf. Ich dokumentiere den Brief vom 27.6.1939 im Folgenden in Gänze. Zur Erleichterung meiner Leser habe ich den Originalbrief in eine lesbare Form transkribiert ( durch Anklicken lesbar). Schreibfehler und mißverständliche Formulierungen habe ich nicht verändert.


Brief Koppel

Brief größer hier


Der Brief zeigt auf, dass es auch im Jahr 1939 in Beilstein noch Menschen gab ( hier Hermann Jobelius und seine Familie), die ihrem langjährigen jüdischen Nachbarn noch wohl gesonnen waren. Das Dokument zeigt aber auch mit wieviel Herzblut Karl Koppel noch an seiner alten Moselheimat Beilstein, seinem Haus, der 39er Weinlese und seinem Garten hing. Die Koppels besaßen auf der anderen Moselseite in Ellenz-Poltersdorf, wie viele andere Beilsteiner gleichermaßen einen Obst- und Gemüsegarten. Neben dem Eigenverzehr bauten sie hier insbesondere Früchte und Gemüse für ihren Lebensmittelladen an. Das folgende Foto (Aufnahme zwischen 1933-38, vierte Person von links) bildet Thersia Koppel, die Ehefrau von Karl Koppel ab. Sie setzt offensichtlich nach getaner Gartenarbeit mit der Fähre über auf die Beilsteiner Seite. Auf dem Rücken trägt sie eine geflochtene Hotte, lange Zeit das übliche Transportgerät an der Mosel für Obst und Gemüse.


Fähre mit Personen um 1935 Theresia Koppel
Theresia Koppel geboren am 4.Jan. 1881 in Pünderich/Mosel, ermordet am (21.)? Sep. 1942 im deutschen Konzentrationslager Treblinka


Karl Koppel hätte seine Heimat Beilstein unter anderen Umständen wohl niemals freiwillig verlassen. Die Familie Koppel hat noch drei Jahre in Köln gelebt. Am 15.Juni 1942 mussten sie sich an der "Judensammelstelle auf dem Kölner Messegelände" einfinden. Dort wurden die drei - sie waren zu dem Zeitpunkt schon zwischen 61 und 71 Jahre alt - in Viehwaggons gepfercht und deportiert; zunächst in das Konzentrationslager Theresienstadt, wo sie am darauffolgenden Tag, dem 16. Juni 1942 ankamen. Dieser Transport mit der Bezeichnung III/1 umfasste insgesamt 963 Personen, zum großen Teil ältere Menschen. Eigentlich war dieser Zug gar nicht geplant, wurde jedoch vom Kölner Gauleiter Grohé kurzfristig angefordert um für nichtjüdische Opfer des Bombenangriffes auf Köln vom 30. Mai 1942 schnell neuen Wohnraum zu schaffen.Die Kölner Juden mußten also eiligst aus der Stadt! Wegen der Eile, wurde wohl auch erstmalig ein Güterwagon/ Viehwagen für den Transport von Menschen eingesetzt. Wie es Karl Koppel, seiner Frau und seiner Schwester auf diesem Transport ergangen sein muß, kann man sich heute kaum ausmalen. Rund drei Monate später am 19. September 1942 wurde die Familie Koppel aus dem völlig überfüllten Ghetto Richtung Osten in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Dort wurde Karl Koppel zwei Tage später am 21. September 1942 ermordet. Für Schwester und Ehefrau ist kein Todesdatum dokumentiert. Wahrscheinlich aber hat man sie am gleichen Tag umgebracht. Heute erinnert in Beilstein an die jüdische Familie Koppel, ihren Laden und ihr Leben rein gar nichts mehr!



Nachtrag:

Karl Koppels Sohn aus erster Ehe, Hugo Koppel (1903-82) hat die Shoa (Holocaust) überlebt, weil er 1939 gemeinsam mit seiner Ehefrau zunächst nach Bolivien, später in die USA ausgewandert ist. Im Brief erwähnt sein Vater Karl Koppel, dass man sich in Köln noch einmal gesehen hat und Abschied voneinander nehmen musste. Sein Sohn Rene, 1944 in LaPaz/ Bolivien geboren hat vor einigen Jahren die Familie Jobelius in Beilstein besucht. Auch die Tochter von Gertrude, Ruth Schutzbank besuchte Beilstein öfter in den 1960er und 1980er Jahren.



Literaturempfehlung:

•  A. Gottwald und D. Schulle, Die "Judendeportationen" aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005
•  Angelika Schleindl, Spuren der Vergangenheit. Jüdisches Leben im Landkreis Cochem-Zell, Briedel 1996 mosella-judaica.de
•  www.bundesarchiv.de
•  Holocaust Gedenkstätte yad vashem
•  NS- Dokumentationszentrum der Stadt Köln - Die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus nach Namen
•  www.bayerisches-nationalmuseum.de



Beilsteiner Dächer

Blick vom Kloster hinab auf Beilsteiner Dächer. (Foto etwa 1900)


Blick auf Beilsteiner Dächer


Der Fotograf ist hier nur 20 Stufen die Klostertreppe hinab geschritten und blickt nun auf die Häuser links und rechts der Treppe mit ihren uralten Schieferdächern. (Foto ebenfalls um 1900)

Haus am Fuß d. Klostertreppe
           
Haus an Klostertreppe

Am Fuße der Klostertreppe auf der rechten Seite befand sich um 1900 auch noch ein ganzes Haus, welches komplett verschwunden ist ( heute Vorplatz und Stühe/ Tische der Winzerschenke Sausen). Ein weiteres Mal wird deutlich, wie eng die Bebauung das heißt die Wohnverhältnisse über Jahrhunderte im Ortskern von Beilstein waren.



Zugang zur Winzerschenke
           
Haus Klostertrepppe Abstand

Zur Eingangstüre des heutigen Gebäudes Winzerschenke gelangte man seinerzeit vom Fuße der Klostertreppe aus über diesen schmalen, gepflasterten Weg. Auf der Rückseite des heute abgetragenen Hauses maß der Abstand zum dahinter liegenden Wohnhaus ( heute Winzerschenke Sausen) weniger als zwei Meter.




Dacheindeckung Bachstraße 50

Diese Dächer mußten auch einmal repariert werden. Dieses seltene Foto zeigt einen Dachdecker bei der Neubeschieferung des Daches "Haus kein Moselblick" in der Bachstraße 50. Vor 100 Jahren war Kinderarbeit auch bei solch gefährlichen Tätigkeiten nicht selten. Sicherheitsvorkehrungen und moderne Gerüste konnte sich kaum jemand leisten, dementsprechend gefährlich war der Beruf des Dachdeckers. (Foto etwa 1915)


Altes Spukhaus mit Bewohnern um 1910

Mein Ferien- und Seminarhaus "Altes Spukhaus" in der Bachstraße 51 stammt aus der sogenannten Gründerzeit (1871 bis 1880er Jahre). Dieses Familienfoto auf der Außentreppe entstand um 1910 - zeigt also die zweite oder dritte Generation im Hause. Kinderreichtum war vor 100 Jahren keine Seltenheit, sondern eher Ausdruck von Armut und dem Versuch die Familie mit möglichst vielen eigenen Arbeitskräften am Leben zu halten.




Katasterplan 1834

Dieses Foto zeigt das gleiche Elternpaar auf der Bachstraße stehend. Auf der Treppe zum Hauseingang bemerkt man einige Hühner. Freilaufende Hühner sind auf historischen Beilstein Fotos recht häufig zu sehen. Die präkeren sozialen Bedingungen der meisten Familien in Beilstein zwangen zu einem hohen Grad an Selbstversorgung. Viele Familien hielten eine eigene Kuh im Keller. Ziegen, Schweine, Kaninchen waren nicht selten - Hühner fast die Regel. Bei der gläsernen Flasche, die der Familienvater in der rechten Hand hält dürfte es sich wohl um eine Flubbes Flasche handeln. Flubbes oder Haustrunk war an der Mosel das "arme -Leute-Getränk". Dieser alkoholarme, gerbstoffreiche Wein wird gewonnen durch Gärung von nichtbehandeltem, in Wasser aufgeschwemmtem Trester (den Rückständen der Trauben nach der Pressung). Es war der Durstlöscher der Weinbergsarbeiter und Landarbeiter. Allerdings war er auch im höchsten Maße ungesund. Die in früheren Zeiten im Weinberg heftig eingesetzten Spritzmittel und Schwermetalle konzentrierten sich vorallem in der Beerenhaut und gaben dementsprechend viele Giftstoffe bei der zweiten Gärung in den Flubbeswein ab. Bis 1942 wurden an der Mosel arsenhaltige Insektizide verwendet, die sich bei den Winzern insbesondere über den Konsum von Flubbeswein im Körper anreicherten. Arm sein hieß auch an der Mosel lange Zeit : Früher sterben.



Katasterplan 1834

Katasterplan von 1834


Einer der spannensten "Entdeckungen" der Beilsteiner Stadtgeschichte ist der ehemalige Ritterturnierplatz, östlich unterhalb des Schloßberges gelegen. Zu seiner wahrscheinlichen Bauzeit im Spätmittelalter lag das Arenal mit seinen beträchtlichen Ausmaßen außerhalb der Stadtmauer. Das Turnier ist wohl im 11. Jahrhundert in Frankreich entstanden. Der französische Begriff tournoi wurde im Deutschen zu turnier. Ursprünglich bedeutete Turnier ein Reitergefecht zweier Gruppen in voller Rüstung und scharfen Waffen. Die Bezeichnung wird später auch für den Tjost, den ritterlichen Zweikampf übernommen. Im Spätmittelalter bilden sich strenge Regeln heraus, die über die Turnierfähigkeit der Teilnehmer entschieden. Der Turnierherold entschied über die Turnierfähigkeit. Sogenannte Grieswärtel sorgten mit hölzernen Lanzen auf den Turnierplätzen für Ordnung. Das Entstehen der Ritterturniere ist zum einen zu erklären mit dem Bedeutungsgewinn bewaffneter und gepanzerter Ritter zu Pferde. Diese neue Militärformation war eine direkte Antwort auf die militärischen Erfahrungen, die christiche Heere bei den Kreuzzügen machen mußten. Die Turniere als anfängliches Einüben von Fertigkeiten bekamen zunehmend einen sozialen Charakter, der in der sich neu herausbildenden Schicht der Ritter auch über Rang und Prestige bestimmte. Mit der Entwicklung von Entfernungswaffen (Kanonen und Handfeuerwaffen) wurden die unbeweglichen Ritter zu Pferde mit ihren nur im Nahkampf einsetzbaren Waffen militärisch unbedeutend. Auch die Turniere litten unter diesem Bedeutungsverlust. Sie verlagerten sich zunehmend in die Städte, wurden zu Schauveranstaltungen, an denen sich zunehmend reiche Bürger und Handelsherren beteiligten. Zahlreiche Begriffe und Sprichworte im Deutschen lassen sich auf das mittelalterliche Turnierwesen zurückführen. So z.B.: "Für jemanden eine Lanze brechen", "Jemanden in die Schranken verweisen", "Auf dem hohen Roß sitzen", "Etwas von der Pieke auf lernen". Die Quellenlage zur Geschichte des Beilsteiner Turnierplatzes gibt uns keine Auskunft zum Baujahr und der nachfolgenden Nutzung. So will ich ein paar Hypothesen aufstellen, die ich für recht wahrscheinlich halte: Das erste wichtige Herrschergeschlecht auf Beilstein - Die Herren von Braunshorn (urkundliche Erwähnung ab 1268) - gingen ab 1309 daran Burg und Stadt auszubauen. Dabei war Johann II von Braunshorn sein gutes Verhältnis zur Grafschaft Luxemburg ab 1299 von großem Nutzen. Im November 1308 wurde Heinrich Graf von Luxemburg zum Deutschen König Heinrich VII gewählt. Der Beilsteiner Johann II von Braunshorn wird 1309 und 1310 öfter als Hofmeister des Königs erwähnt, er muß also eine nahe Vertauensperson von König Heinrich VII gewesen sein. Der Dank des Königs manifestierte sich u.a. in der Verleihung der Beilsteiner Stadtrechte 1310, der Erlaubnis eine Stadtmauer zu errichten und zahlreichen anderen Privilegien. Hingegen nahmen Johann II und sein Sohn Gerlach als Gefolgsleute am Italienzug des Königs teil. Von 1310 -1313 hielt sich König Heinrich VII mit seinem Heer in Oberitalien auf, um dort seine Machtansprüche zu manifestieren. Schließlich wurde er am 29.6.1312 in Rom von abgesandten Kardinälen des in Avignon residierenden Papstes Clemens V zum Kaiser gekrönt.

Romfahrt Heinrich VII


Die teilweise monatelangen Belagerungen italienischer Städte ließ Heinrichs Gefolge "viel Zeit für Speerspiele, Tänze und Feste in Pisa" aber auch an anderen Orten. Diese Abbildung stammt aus einem Bilderzyklus, der die Romfahrt Heinrich VII beschreibt. Ein weiteres Bild aus diesem Zyklus bildet den Ritter Braunshorn bei der Einnahme der Stadt Brescia ab, erkennbar an seiner Fahne mit dem Braunshornwappen.(Ganz links: 3 Hörner auf rotem Grund)

Ritter Braunshorn


Johann II und sein Sohn Gerlach haben möglicherweise eine Vorliebe fürs ritterliche Turnier mitgebracht, als sie im Frühjahr 1313 von Italien nach Beilstein zurückkehrten. Den Bau des Beilsteiner Turnierplatzes zu dieser Zeit halte ich für sehr wahrscheinlich. Der abgebildete Katasterplan von 1834 verdeutlicht die Außmaße des Areals. (Längsseite: 127 Meter, Querseite: 40 Meter, also insgesamt mehr als 5000 Quadratmeter). Im Süden und Norden wird der Platz von Quermauern eingefaßt, die heute noch nahezu komplett erhalten sind. (Die südliche auf dem Gelände des neuen Friedhofs, die nördliche reicht vom Gärtchen des Schulgebäudes von 1932 bis zum Neubau Jobelius. Die Längsseite nach Osten war terassenförmig gestaltet. Auf zwei gemauerten Terassenebenen hatten Zuschauer genügend Platz. Eine solchermaßen stabile, weil gemauerte Zuschauertribüne bot sich wegen der Hanglage geradezu an. (Fragmente dieser Terassenebenen haben sich bis heute erhalten). Erfahrungen mit hölzernen Tribünen machte 1315 die Hochzeitsgesellschaft von Friedrich dem Schönen, dem Deutschen König und Nachfolger Heinrich VII, der seinen Italienzug - dumm gelaufen - wegen Malaria leider nicht lebend beenden konnte. Bei diesem besagten Turnier stürtzte die Zuschauertribüne ein, viele Damen wurden verletzt und im allgemeinen Tumult ihres Geschmeides beraubt. Die westliche Längsseite hatte wohl aufgrund der topographischen Gegebenheiten keine Terassentribüne. Das ganze Areal war in den darauffolgenden Jahrhunderten im Besitz der jeweiligen Herrschaft auf Beilstein (1362/63 bis 1636 von Winneburg-Beilstein; 1636 bis 1794 von Metternich). Wann das Gelände sein letztes Turnier gesehen hat, kann man nicht sagen. Mit der Versteigerung des fürstgräflichen Besitzes durch die Franzosen ab 1794 kam der Platz an einen Privateigentümer. Um 1880 gelangte das Areal in die Hände des recht wohlhabenden Geheimen Oberbaurates Höffgen, der hier eine Obstwiese anlegte. Alljährlich veranstaltete das Ehepaar Höffgen hier für alle Beilsteiner Kinder ein großes Kinderfest. Die Erben von Carl Höffgen gaben ab 1915 dem Obstgarten seinen umgangssprachlichen Namen: "Eckertz-Bungert". Johanna Eckertz schenkte in den 1960er Jahren der Gemeinde Beilstein ihr Grundstück für einen neuen Friedhof. Die neue Umgehungsstraße teilte 1975 "Eckertz-Bungert" in zwei Teile. Der süd-östliche Teil wurde zum Friedhof, der nord-westliche Teil mit zwei Häusern bebaut. Mit dieser baulichen Veränderung verlor die sehr auffällige Umfassung des Areals ihren jahrhunderte alten Charakter. Nur dem sehr aufmerksamen Betrachter erschließt sich nunmehr (vielleicht ein wenig durch meine Hilfe) die ursprüngliche Bedeutung.

Mühltal ca 1960
Südöstlicher Teil von Eckertz-Bungert hier
am Bildrand rechts zu erkennen (Foto etwa 1965)



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